„Ich hatte aber gedacht, dass das ganz anders läuft!“ „Also das hab ich so echt nicht erwartet. Ich bin enttäuscht!“ „Aber warum machst du das so? Warum bist du so? Wenn du dich anders verhalten würdest, wenn du anders wärst, dann wäre es so viel besser!“
Die Ursachen von sehr viel seelischem Leid sind Erwartungen. In jedem Menschen bilden sich Vorstellungen darüber, wie das Leben zu sein hat. Wie die berufliche Karriere zu sein hat, wie eine gute tiefe Freundschaft zu laufen hat, wie eine gute Beziehung funktioniert, was ein perfekter Parnter alles mitbringen muss, wie man selber sein will.
Es gibt Dinge, die können wir kontrollieren. Und Dinge die können wir nicht kontrollieren. Und dann gibt es Dinge, die wir meinen kontrollieren zu können, obwohl das nicht der Fall ist. Allerhöchstens unser Verhalten, unsere Reaktion auf ein bestimmtes Ergebnis hat eventuell eine rückwirkende verändernde Beeinflussung auf das Objekt, wobei die genaue Reaktion auf unsere Reaktion nur spekuliert, aber keineswegs berechnet werden kann. Lies diesen Satz nochmal! Er ist ein wenig verwirrend oder?
Wir wollen immer alles kontrollieren können. Und wir arbeiten auf eine Optimierung hin. Der Optimierungswahn unserer Zeit. Gut ist nicht gut genug. Stagnation wird als Niederlage wahrgenommen. Schlechte Zeiten, Rückentwicklungen oder unerwartete negativ wahrgenommene Ereignisse bilden gleich ein Drama.
Und zudem ist es äußerst interessant, wie schnell sich jemand einsam fühlen kann. Wie schnell eine Beziehung, sei es freundschaftlich oder auf einem erotischen Level, die individuellen Bedürfnisse nicht zur Fülle befriedigt. Und wie schnell man dann die Beziehung im generellen anzweifelt und dem anderen Partner Vorwürfe macht. Oder sich zurückzieht. Ganz davon abhängig, was für ein Coping-Mechanismus-Typ man eben ist.
Hier öffnen sich zwei Konfliktfenster:
- Was tun, wenn ich den Erwartungen meines Gegenübers nicht gerecht werde?
- Was tun, wenn mein Gegenüber meinen eigenen Erwartungen nicht gerecht wird?
- Hierbei kommt es ganz darauf an, in wie weit mein Gegenüber den Missstand seiner Erwartungen mir gegenüber zur Sprache bringt. Je nachdem kann ich mich dazu verhalten. Grundsätzlich ist glaube ich wichtig zu verstehen: „Ich bin nicht dafür da, die Erwartungen des anderen zu erfüllen! Ich muss nicht so sein, wie der andere mich haben will. Ich bin ein eigener Mensch, mit einzigartigem Charakter. Und ich darf nach meinem eigenen besten Gewissen handeln!“ Dabei sollte ich mich dennoch hinterfragen und offen bleiben für Reflexion und Kritik anderer. Sofern diese aber übergriffig werden, darf ich dies auch rückmelden und mich diesem Verhalten entziehen! Kritik ist wichtig, der Kritikäußerer hat aber auch nicht das Recht, mich zu behandeln, wie er das will. Ich kann auch selber Grenzen aufziehen! Wenn der Gegenüber dir nur mit Vorwürfen entgegenkommt, dich sogar anschreit und beleidigt – ist zumindest bei mir eine Grenze erreicht. Auf so einem Level muss ich nicht weiterreden. Ich will so nicht behandelt werden. Auch wenn das Gegenüber nur die negativen Seiten an mir hervorhebt und diese dann auf einem sehr persönlichen Weg nur auf sich bezieht, ist das kein Verhalten, dem ich mich gerne aussetze! Oder wenn das Gegenüber seine Perspektive als einzige Wahrheit anerkennt und nicht einmal mehr versucht meine Perspektive zu verstehen, sich in mich hineinzuversetzen, dann ist eine harmonische Beziehung in der ich mich nicht selber aufgebe, nicht das einfachste. Wichtig ist aber: Wie du darauf reagierst verändert die Situation maßgeblich. Vielleicht reagiert dein Partner gerade nicht optimal, verletzt dich, ist einseitig und übergriffig. Aber versuche auch du ihn zu verstehen und wenn du wirklich gewillt bist, diesen Konflikt zu begleichen und ein harmonisches Miteinander anstrebst, dann überlege dir, wie du dich der Person gegenüber verhalten möchtest. Entziehst du dich dem Konflikt und meidest du die Person fortan? Das bedeutet eine gewisse Distanz in eurer Beziehung. Willst du das? Versuchst du diplomatisch und ruhig zu bleiben und mit „Ich-Botschaften“ dem Anderen deine eigene Situation näher zu bringen? Verlierst du dabei deinen eigenen Standpunkt, weil du beschwichtigst und das Verhalten des anderen tolerierst und als sein Recht anerkennst? Oder weist du den anderen in seine Schranken, zeigst deine persönlichen Grenzen auf und stehst dem anderen erhobenen Hauptes im Konflikt gegenüber? Lässt dich nicht kleinmachen? Oder gibst du kleinbei, entschuldigst dich und nimmst zur Fülle die Perspektive des anderen an, ohne dich zu erklären und rechtzufertigen. Lässt du dich überhaupt von dem anderen berühren? Oder ziehst du deine Mauern hoch und wirst unantastbar und gleichgültig dem anderen gegenüber? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie du dich in solchen Situatuionen verhälst?
- Du spürst immer mehr, dass dir am Verhalten des andern, ganz gewiss etwas gegen den Strich geht. Der andere verletzt dich, durch Dinge die er tut oder eben nicht tut. Du hast Bedürfnisse, äußerst die eventuell sogar und dennoch entspricht er denen nicht oder hoffst, dass der andere sie einfach so bemerkt, weil er dich doch kennen und feinfühlig genug sein sollte – ABER du wirst enttäuscht! Was machst du jetzt? Frisst du den Frust in dich hinein, weil du den Konflikt vermeiden willst und du in der Opferrolle im Recht bist und dir zumindest das eine gewisse Genugtuung im Leid ermöglicht? Gehst du in die direkte Konfrontation, vergreifst dich mögicherweise im Ton, vielleicht ohne es zu merken, und lässt sofort ungefiltert deinen Emotionen freien Lauf, egal, ob es den anderen verletzt und in seiner Würde annagt? Schließlich sind es deine Gefühle und der ander hat nun einmal zu wissen, wie es dir geht! Schließlich seid ihr in einer nahestehenden Beziehung, da kann man ja so sein wie man ist, da muss man sich nicht zurückhalten. (WIrklich nicht?). Oder filterst du deine Gefühle, versuchst dich zu beherrschen und versuchst lösungsorientiert, das zu formulieren, um harmonisch zu dem Ergebniss in eurem Miteinander zu kommen, dass du dir wünschst? Wie hoch ist dabei die Schwelle, bis du Dinge ansprichst, die dich stören? Unterdrückst du dabei gewisse Empfindungsimpulse? Und ist das für dich etwas Gutes oder etwas Belastendes – also dies gewisse Gefühlskontrolle? Denn nur weil man gewisse Empfindungen und Gefühle hat, zwingen diese einen noch nicht zu einer konkreten Reaktion / Handlung. Zwischen Gefühl, Epfindung, Impuls ist das „ICH“ eingebaut, das mit Charakter, Verstand und Gedankengut zwischen Reaktionsmöglichkeiten wählen kann. Der eine kann das bewusst, der ander geht in einen Automatismus von antrainiertem Reaktionsschema. Welcher Typ bist du? Wie kontrolliert reagierst du? Welches Maß an Kontrolle wird benötigt, welches Ausmaß ist zuviel? Auch hier wieder eine Frage der Balance, des Gleichgewichts. Die grundlegenden Fragen hierbei: Ist es für mich notwendig, dass ich auf meine Enttäuschung reagiere? Kann ich mich ändern und anders verhalten, wünsche ich mir, dass mein Gegenüber sich ändert/ anders verhält oder will ich versuchen einen Kompromiss auf beiden Seiten zu erziehlen? Wichtig hierbei: Die „Aufgabenbereiche“ nach Alfred Adler. Ich bin nicht in der Position den anderen zu verändern. Ich kann höchstens Wünsche formulieren, Impulse setzen oder mich zu seinem Verhalten verhalten (in der Politik wären das wohl Sanktionen höhö). Und als drittes noch: Wenn ich dem anderen sein Verhalten und meine eigenen Erwartungen/ Bedürfnisse aufzeigen will, in welcher Form tue ich dies?
Diese zwischenmenschliche Beziehungsthematik tangierte mich in letzter Zeit in einigen verschiedenen Beziehungskonstellationen. Für mich ist dabei auch immer die Herausforderung, das Problem zu aller erst selbst einmal zu reflektieren und zu verstehen. Es braucht eine gewisse Zeit um Klarheit in Situationen zu bekommen. Wie verhalte ich mich, wenn ich angeschrien werde? Wie verhalte ich mich, wenn jemand mich ungerecht behandelt? Wie verhalte ich mich, wenn ich verletzt bin, weil der andere anderst handelt, als ich es erwartet und gebraucht hätte? Verstehe ich, was meine Gefühle bedeuten? Kann ich die Ursachen für meine Gefühle genau benennen. Bin ich so Analysefähig, um Worte für mein Innenleben zu finden, die ich dem anderen darlegen kann? Oder ist eine animalischere Reaktion, die einfacher zu verstehende? Habe ich den Mut, dem anderen meine Enttäuschtheit zu zeigen?
Fragen über Fragen!
Du bist nicht dazu da, den Erwartungen der anderen gerecht zu werden! Kenne und stehe zu deinen eigenen Erwartungen, aber reflektiere und hinterfrage sie und behandle den anderen dennoch mit Respekt und Liebe, ohne in seinen Aufgabenbereich einzudringen!
Sabine
Hey Anke, ich kann dir ein cooles Büchlein empfehlen von einer Französin, die eigentlich Krimis schreibt, hier aber einen skurrilen „Ratgeber“ verfasst hat. Die Autorin nennt sich Fred Vargas. Und so heißt das Buch: Vom Sinn des Lebens, der Liebe und dem Aufräumen von Schränken. Es ist fast so alt wie du, das Buch.
Und u.a. wird klar, dass Sanktionen, Ultimaten, Bedingungen und dergleichen unweigerlich zum Beziehungsabbruch führen. Und dass Reden hilft…
Liebe Grüße! Sabine