Wer bin ich?

Wer will ich sein?

Zwei unterschiedliche Fragen oder doch ein und dieselbe?

Lügen wir uns selber an, wenn wir behaupten so und so zu sein, aber dabei ist es eigentlich eine reine idealisierte Vorstellung unserer selbst?

Ist ein Selbstanlügen essentiell, ganz nach dem Motto: „Fake it till you make it“?

Gibt es uns überhaupt als feste Form? Und wenn nicht, was hat das für Konsequenzen?

In welchen Lebensbereichen lassen wir uns in feste Formen drücken?

Fragen über Fragen…

Alles fing damit an, dass ich auf dem Weg nach Stuttgart war. Mein Opa hatte Geburtstag und aus gegebenem Anlass wollte ich einmal wieder meine Familie in der Heimat besuchen. Da ich nun einmal manchmal – so auch an besagtem Tag – meine Prioritäten nach emotionalen Dingen ausrichtete und dadurch verpeilt wirkend mit Gedanken nicht wirklich an der immer näherrückenden Zukunft klebte, sondern auf Intuition vertraute, verpasste ich meinen Zug. Kurz gesagt: ja, ich war vielleicht verpeilt. Ärgerlich, aber „Wer mich ärgert bestimm ich selber!“ (Zitat von meinem Opa!).

Laut offiziellen Regeln hätte ich jetzt für den vollen Preis von 160€ einen alternativen Zug buchen müssen. Diesem Schicksal unterlag auch das Mädchen neben mir – am Schalter der Deutschen Bahn. Doch wie mir das Leben so gelgegentlich in die Karten spielt, erwischte ich einen sehr netten jungen Herren am Schalter, der mir eine Verspätung eines von mir nicht gefahrenen Zuges bescheinigte. Mit diesem Zettel konnte ich nun getrost und ohne einen Cent zu zahlen in die nächste Bahn einsteigen. Mein Vertrauen aufs Leben wurde dadurch einmal mehr geboostet. Der alternative Zug war stechend voll. Also setzte ich mich an einen Tisch im Bistro, schrieb Tagebuch und hörte Musik. Nach einer Weile fragte mich ein junger Typ, der mich schon ab und an beobachtet hatte, ob ich kurz auf sein Bier aufpassen könne. Er verschwand im nächsten Wagen und die zwei Herren von gegenüber fingen an mit mir um das Bier zu feilschen. Schließlich hätte ich es ja kostenlos übernommen und ich würde wahnsinnig Gewinn machen, wenn ich ihnen das Bier jetzt für weniger Geld weiterverkaufen würde. Tat ich natürlich nicht, aber weil wir so lustig ein paar Sätze wechselten lud mich der Selbstbewusstere der Beiden promt auf ein Bier ein. Er stand gerade am Tresen, als der „Bierleiher-Typ“ zurück kam und mir als Dankeschön anbot, mir ebenfalls ein Bier auszugeben. Das ganze Bistro, dass das Geschehen gespannt verfolgt hatte, lachte und der Typ von Bistro mahnte scherzhaft, die Jungs sollen mich bloß nicht abfüllen.

Wir kamen jedenfalls ins Gespräch. Neben dem üblichen Smalltalk war ich von „TypSelbstbewusst“ ziemlich fasziniert. Nicht auf sexueller Ebene, aber auf der Ebene, dass ich sein Verhalten interessant fand und er mir Input gab, mit dem ich mich reflektieren konnte. An irgendeinem Punkt des Gespräches haute er den Satz raus: „Wir existieren mehrmals“. Ich wusste anfänglich nicht was er damit jetzt meinte, aber er erklärte sich und sagte, dass sein Bild von mir, das er sich inzwischen gebildet hatte, ein anderes wäre, wie das was meine Mutter von mir hat. Und so weiter. Das klang alles sehr nachvollziehbar, ich verstand jedoch die Schlussfolgerung dieser These noch ganz und gar nicht. Als ich danach fragte, meinte er, dass es uns egal sein kann, ob andere uns mögen oder eben nicht. Weil sie sich eh eine Version von uns basteln. Also sollen wir unsere eigene Selbstversion bauen und nicht versuchen eine einzelne von einer einzigen Person zu kopieren. Also genauer gesagt die Projektion einer Person in uns hinein, die wir vermuten und die wir, um Erwartungen zu erfüllen, nachahmen wollen. Dies klang für mich noch nicht ganz einleuchtend, aber ich ließ es erst einmal stehen. Dass er hier etwas sehr Essentielles ansprach, konnte ich erst später in einen größeren Kontext setzen.

Später fragte er mich nach einem Erlebnis, dass mich geprägt hat. Ich verschanzte mich hinter analytischen Erklärungsversuchen meines Wesens. Ganz automatisch, zog ich mich aus mit selber heraus und versuchte mich auf akademische Weise selber zu betrachten. Doch damit war er nicht zufrieden. Er hakte nach und wollte, dass ich etwas aus meinem Leben erzähle. Einen besonders schönen Moment. Da fing ich an von Norwegen zu erzählen, von unserer Kanutour im Regen, von unserer Bergwanderung und den beim Gehen pflückbaren Heidelbeeren. Ab diesem Zeitpunkt interessierte es ihn und er bekam einen Eindruck von mir. Ganzheitlich war gar nicht sein Anspruch und natürlich auch gar nicht möglich. In diesem Moment erinnerte er mich sehr an Jobst. Und ich begriff, dass ich noch einiges zu lernen habe.

Er selber erzählte mir auch einige Dinge über sich: Unter anderem, dass er schon als Kind eine wahnsinnig große Klappe gehabt hatte. Und das, obwohl er noch nicht wirklich selbstbewusst war. Aber er kämpfte sich aus seiner Komfortzone raus und agierte ganz nach dem Motto: „Fake it till you make it“ und das sorgte definitiv für eine krasse Ausstrahlung und ein Umgehenkönnen mit sich selber und Sprache, das kann ich bezeugen. Er wirkte frei. Während ich gefühlt von Hemmungen eingekesselt dasaß. Nicht das ich nicht schlagfertig gegen ihn konterte. Das tat ich definitiv. Aber ich spürte in dem Moment auch so viel Potenzial in mir, dass aus Angst verschlossen bleiben musste. Dieses Gefühl habe ich in letzter Zeit öfter mal. Ich spürte, dass ich mit dem was ich kenne gut umgehen kann. Aber sobald es um unbekannte Dinge geht, ziehe ich zurück aus Angst vor Neuem, und vermeintliches Scheitern im Blick von anderen. Sicherheit statt Freiheit.

Auch wenn der Abend noch einen weiteren sehr interessanten Verlauf vernahm und wir die komplette Fahrt über mit Realitäten und Wahrheiten spielten, springen wir nun in eine andere Situation: Lustigerweise ist dies unteranderem ein Thema, dass sich unterschwellig auch durch unseren Schauspielunterricht hindurchzieht. Jobst differenziert hierbei zwischen einem mechanischen und dem quantenphysikalischen Weltbild.

Das mechanische Weltbild – das noch verbreitertere in unserer Gesellschaft – geht davon aus das der Betrachter von einer externen Position auf die Welt schaut. Er bleibt also unbeeinflusst vom Geschehen und verändert auch nichts. Er betrachtet bloß.

Das Quantenphysikalische beschreibt das genaue Gegenteil: Hier befindet sich der Betrachter inmitten des Geschehens, wird beeinflusst und beeinflusst in Wechselwirkung.

Was folgere ich jetzt aber daraus? Schlussendlich ist es eine Lebenseinstellungssache. Wie du im Leben stehen willst. Unmittelbar als Teil des Geschehens. Dich öffnen und in Wechselwirkung zu deinen Mitmenschen und deinem Umfeld stehen. Dadurch angreifbar werden, Anteil nehmen, Verantwortung bekommen und eingebunden sein. Oder dich zurückziehen in die Welt der Analyse und Abstaktion, wo alle Sachen auf diese und jene Art angesehen werden können, wo es als große Qualität gilt, sich eben nicht berühren zu lassen, sondern mit Neutralität und kühlem Kopf die Dinge ersteinmal abzuwägen, einzuordnen und dann eine Reaktion zu überdenken.

Das hier soll keine Hassrede gegen Analyse, Logik, und die heutige Wissenschaft sein. Allerdings ist dieses Denken in Vorherrschaft in unserer Kultur und ich denke wir verlieren dadurch wichtige Qualitäten.

Als ich dann einen Monat später wieder in der Heimat war – diesmal hatte mein anderer Opa Geburtstag – hatte ich mit meinem Vater ein sehr anregendes und inspiriertes Gespräch zu dem Thema. Leider habe ich nur unser Ende mitgeschnitten, aber hier mal ein paar Schlagthesen, die in dem Gespräch gefallen sind – unbewertet und erstmal Kontextlos.

  • Analyse verbalisiert Willen sucht nach Ursachen, Alternativen und Konsequenzen, statt ihn zu fühlen und direkt auszuführen.
  • Analyse verleiht die Fähigkeit zu steuern und zu verändern.
  • Analyse bietet dir die Möglichkeit dich selber zu erschaffen. Es bietet dir die Möglichkeit verschiedene Konzepte zu durchdenken und dich für eins zu entscheiden (Frei nach dem Motto: Chose your thoughts and you chose your world)
  • Analyse zieht dich aus dem eigentlichen Prozess heraus. Es entzieht dir die Berechtigung emotional und direkt zu reagieren.
  • Das Gegenteil: In der Beziehung zu anderen Menschen emotionale Impulse aushandeln, statt nur in dir selber! Damit nutzt man die direkte Energie und lässt sie nicht durch Analyse verbrennen.
  • In Liebesbeziehung emotionale Öffnung und Verantwortung auf das Zwischenmenschliche. Dinge im Dialog bearbeiten und entstehen lassen.
  • Analyse als Sicherheitszone.

Es ist spannend, wie sich das Thema momentan durchzieht. Beate meinte heute im Einzelunterricht Sprache, dass wir Deutschen verlernt haben Handlung in Sprache zu bringen. Das wir verlernt haben emotionale Gesten in die Sprache zu setzten. Das aus diesem Grund so viel Fehlkommunikation in unserer Gesellschaft herrscht. Und ich habe verstanden, was sie damit meint. Das ist ein schwieriger und doch eigentlich so banaler Punkt. Wir lernen im Schauspielunterricht, den anderen wirklich zu meinen! Zu berühren. Und durch unsere Worte zu verändern, zu bewegen oder zu gewissen Reaktionen oder Handlungen zu motivieren. Wir erschaffen diesen besonderen Beziehungskanal. Darin liegt die Magie des Partnerspiels. Das ist was Menschen begeistert. Was sie sehen wollen. Weil sie es verlernt haben oder zummindest zu wenig in ihrem Leben etabliert haben!

Das Thema ist definitiv noch nicht fertig. Aber Ganzheit ist in diesem Fall ein unrealistischer Anspruch. Ich freue mich über jegliche weiterführende Gedanken!

Um nun aber noch mit dem Anfang des Artikels abzuschließen. Mal wieder ist der Zeitpunkt erreicht, in dem mich eine Rolle, die ich spielen darf zu einem Persönlichkeitswachstum oder zumindest zu neuen Gedanken katalysiert. Ich darf im nächsten Stück Helena spielen, die Schönste Frau der Welt. Alles nur Fassade? Wieviel Charakter steckt in so einer Person oder in wie weit beherrscht sie Analyse um sich innerlich rein und glatt zu bügeln. Dreht sie sich ihre Welt wie sie will? Manipulert sie andere? Ist sie sich ihrer Macht über Männer bewusst? Oder ist sie unschuldig und in direkter Verbindung zu anderen und zum Leben – ihre Schönheit ist Teil ihres Charakters. Nur ein paar der Punkte – passend zum Thema Analyse und Selbstbetrug!