Und wieder und wieder drehen wir uns um die selben Themen! Ich wollte meinen neuen Artikel gerade „Bestandslosigkeit“ nennen, bis mir eingefallen ist, dass ich einen solchen ja schon einmal geschrieben habe. Vor knapp einem Jahr. Deswegen nenn ich diesen Beitrag jetzt „Bestand“ – um dem Schein zu widersprechen nichts gelernt zu haben in dem Jahr und um für ein wenig Abwechslung zu sorgen :). Andernfalls könnte ich auch den Titel „Dualismus Beständigkeit VS Augenblick“ nehmen – wie die Notiz in meinem Handy von heute Nachmittag, die ich aufgeschrieben habe als mir der nächste Sprung eingefallen ist – allerdings wäre mir der Titel zu lang und überhaupt ist „Bestand“ als Wort an sich, in seiner Alleinstellung, schon sehr anregend.

Bestand. Ein Bestand bezeichnet einen Zustand der über einen gewissen Zeitraum unverändert bleibt. Firmen und Fabriken können Bestände von Waren haben. Also eine gewisse Anzahl der Dinge, die sie lagern – ändert sich die Zahl, ändert sich der Bestand. Der materialistische Aspekt dieses Wortes. Bei der Erweiterung zum Wort „Beständigkeit“ denken wir schon eher an etwas Immaterielles. Die Beständigkeit der Ehe zum Beispiel. Zwei Menschen, die sich versprechen sich „beständig“ zu lieben. Ein Synonym zu „bestehen“ (das Verb zu unserem Substantiv) ist laut Google „auf längere Zeit existieren“ oder aber auch „erfolgreich zu Ende führen“. Etwas ist also „beständig“ oder hat „Bestand“, wenn es bis zu einem definierten Zeitpunkt (oder ewig? Gibt es ewig?) unverändert bleibt.

Beständigkeit ist für mich stark an ein Sicherheitsgefühl geknüpft. Das Bekannte ist bekannt. Welterkenntnis. Und dadurch berechenbar. Handlungs- und Reaktionsmuster sind bereits angelegt. Routinen können eingeführt und abgespielt werden. Man verlässt sich darauf, dass sich nichts ändern wird. Und diese Verlässlichkeit (sofern sie wirklich gegeben ist) schafft Sicherheit.

Beständigkeit ist essenziell für uns Menschen! Denn was würde passieren, wenn wir uns nicht mehr darauf verlassen könnten, dass das Wasser aus der Leitung keimfrei und für uns gefahrlos zu trinken ist? Was wäre, wenn Geld plötzlich keinen Gegenwert mehr hätte? Wenn die Familie einen plötzlich nicht mehr liebt und unterstützt? Wenn das Rechtssystem plötzlich außer Kraft tritt? Wenn die Versicherung nicht mehr für Gesundheitskosten aufkäme? Wenn die Sonne nicht mehr aufgehen würde?

Unser ganzes Leben ist auf Beständigkeit aufgebaut. Wir wägen ab, wie beständig und vertrauensvoll eine Sache ist und richten uns danach aus. Beständigkeiten bilden ein Raster, ein Netz, auf dem wir balancieren und das wir bespielen können.

Es gibt jedoch einen Haken. Es gibt (vermutlich) keine gesicherte Beständigkeit. Darüber liese sich jetzt lange streiten, ob es einen beständigen Gott gibt, ob es beständige Naturgesetze gibt, ob es überhaupt absolute, unveränderliche Wahrheiten gibt, die jegliche Zeit überdauern – aber dieses Fass will ich an der Stelle gar nicht öffnen. Vielmehr will ich darauf hinaus, dass zu einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsanteil ein Fall eintreten kann, in der die Beständigkeit scheitert – sprich Veränderung an ihre Stelle tritt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sonne morgen nicht mehr aufgeht, ist zwar super gering und definitiv um Welten kleiner, als die Wahrscheinlichkeit, dass aus irgendeinem Grund ungesunde Keime in die eigene Wasserleitung gelangen, aber sie ist gegeben. (Wobei ich das jetzt astronomisch/physikalisch nicht genau belegen könnte, aber irgendwas könnte doch sehr wohl passieren oder fällt das jetzt auch in das Naturgesetzfass? Nunja, es könnte zumindest etwas passieren, was den Naturgesetzen entspricht, aber in der Unwissenheit der Menschen liegt. Wir rutschen hier wahrscheinlich sehr nah an philosophische Kernfragen, bei denen mehrere Ansichten möglich, aber keine bewiesen ist, nur da kenn ich mich leider viel zu wenig wirklich wissenschaftlich aus. Ein Grund parallel zum Schauspiel darin Kurse zu belegen? Ich schweife ab…)

Jedenfalls ist meine These – zumindest auf den Lebensalltag bezogen – dass (fast) alles seine Beständigkeit verlieren kann.

Daraus erschließen sich für mich zwei Reaktionen:

  1. Die Suche nach etwas Beständigem, um dieser These zu entgehen (z.B. der Glaube an Gott oder an die Liebe)
  2. Wertfreie Akzeptanz + das Spielen mit den Wahrscheinlichkeiten

Der Sicherheitswunsch drängt uns gelegentlich zum Klammern. Sei es das Anhäufen von Geld, um ja immer genug zu haben. Sei es das Nichtaufgebenwollen einer Beziehung/ einer Freundschaft aus Angst sonst für immer allein zu sein oder der übervorsichtige Umgang mit seinem Körper, um ja nie krank oder verletzt zu werden. Hierbei richtet sich unser Blick stark in die Zukunft. Wir versuchen Beständigkeit zu erzwingen, aus Angst vor Veränderung und Eventualitäten. Dass wir uns dabei die aktuelle Zeit versauen, realisieren wir oft nicht, bzw. der „Moment“ steht einfach zu weit unten auf unserer Prioritätsliste. Angst, Sorge, und Horrorszenarien plagen uns. Wir fühlen uns dem Schicksal ausgeliefert und um dem entgegenzuwirken, beziehungsweise das Gefühl von Kontrolle zu erlangen, überkompensieren wir Dinge (wie oben in den Beispielen aufgeführt). Glücklich werden wir dabei aber nicht. Denn das Ziel, volle Beständigkeit zu erlangen, wird uns vermutlich nie gelingen.

Trotzallem ist der Mensch in der Lage Beständigkeiten, die zu einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrad bestehen (höhö doppelt gemoppelt) zu etablieren. Unser Rechststaat ist so eine Beständigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit. Geld (trotz der minimalen Inflation). Versicherungen. Alles Systeme, die der Mensch erschuf und die auf Beständigkeit ausgerichtet sind. Religion ist stark auf Beständigkeit ausgerichtet. Zumindes das Christentum (in vielen ihrer Auslegungen). Deren höchstes Ziel ist die Beständigkeit! Das ewige Leben. Alles Positive und das für immer! Und auch die daraus resultierten Kulturtraditionen sind auf Beständigkeit ausgelegt. Die Ehe: „Bis dass der Tod uns scheidet!“. Verlässlichkeiten werden geschaffen: „Wie in guten, so in schlechten Zeiten!“. Das beste Beispiel eigentlich für die Wahrscheinlichkeit der Beständigkeit. In vielen Fällen hebt eine Ehe, in vielen nicht. Sicherheit ist also auch hier nur ein Schein, bzw. ein an eine Wahrscheinlichkeit geknüpfte Parabel. (Alles ein mathematisches System?)

Was ist nun aber eigentlich mein Kernproblem? Der Wunsch nach Beständigkeit auf Kosten des Augenblicks? Oder der konkurrierende Kampf nach einem Ausgleich zwischen genug Wahrscheinlichkteitsbespielung und spontanem Augenblickgenießens? Oder die Angst vor Bestandslosigkeit, aufgrund mangelnder zukunftsberechnungsrelevanten Informationen und das Nichtbesitzenkönnen von Liebe und Beziehungen?

Hier kämpfen wohl auch zwei Seiten in mir, wie eine gute Freundin neulich sagte: mein Vater und meine Mutter. Repräsentativ (sehr platt) für jeweils eines der Gegenlager.

Dennoch: Ich glaube an den Augenblick und will auch an ihn Glauben. „Der wahre Genuss beginnt immer dann, wenn die Zeit egal ist.“ – ein Zitat, das ich neulich geschenkt bekommen habe.

Das Leben als Trampolinspringer (habe ich diese Philosophie schon mal in meinem Blog erleutert?) beruht auf Beidem. Dem Netz der Beständigkeiten des Lebens, die einen immer wieder auffangen und hochschleudern und dem völligen Auskosten des Fluges.

Der Wunsch nach Beständigkeit ist also durchaus nicht falsch. Sich Beständigkeiten zu bauen, Systeme zu etablieren, auf all das basiert unsere ganze Kultur, unser Staat, unsere Gesellschaft unser Leben. Einhergehen sollte jedoch die Bereitschaft und Anpassungsfähigkeit mit Alternativen umzugehen. Tritt der Wahrscheinlichkeitsfall ein und die Beständigkeit wird gebrochen, dann ist dies kein Weltuntergang, sondern ein Neuanfang. Diese Perspektive verhindert Angst vor Veränderung, Angst vor Bestandslosigkeit und die damit verbundene Klammerreaktion, bzw. Nichtauskostung des Moments auf Vorteil einer Scheinzukunftssicherheit.

Eine undefinierte Beziehung lebt nur im Moment. Sie ist in keinerlei System gedrückt, lässt keinerlei Zukunftswege berechnen, da sie keinerlei Regeln unterliegt und ist abhängig von Gegebenheiten und Umständen.

Dies hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Vorteil ist die absolute Freiheit, Flexibilität und Spontanität. Das Auskosten des Moments. Der Zauber des Ungewissen. Das Abenteuer. Nachteil ist die fehlende Verlässlichkeit, das omnipräsente Ende aufgrund der Nichtangabe der Wahrscheinlichkeit der Beständigkeit, sprich die Unsicherheit, plus fehlende definierte Handlungsspielräume und definierte Rechte, Pflichten, Zuständigkeitsbereiche (so scheiße systematisch sich das jetzt auch anhört, grundsätzlich kann eine Beziehung wohl sehr viel Paralellen zur Politik aufweisen, wie mein Hirn gerade so feststellt 🙂 ) Das definieren einer Beziehung kann also sehr wohl positive Auswirkungen haben, auch hier ist es wieder eine Frage, wie starr man ein solches System baut, wie man es schafft die positiven Dinge einer undefinierten Beziehung (sofern man diese beibehalten will) integriert bekommt und letztendlich ist in meinen Augen eine Beziehung (fast) nie ein „Bestand“, sondern eine Entwicklung. Auf der anderen Seite ist die Frage, wie viel System eine Beziehung überhaupt braucht, wieviele Axiome geschaffen werden müssen (müssen im Sinne von „um das Ziel der individuellen emotionalen Bedürfnisse Beider zu befriedigen“), ob man überhaupt langfristige Absicherungen für Beziehungen braucht oder ob es nicht qualitätvoller ist, mit dem zu arbeiten, was im Moment da ist, sich dabei nicht aus Angst um die Zukunft zu verbiegen und seine Selbstbestimmtheit nicht zu verlieren! Zudem gibt es auch unausgesprochene Beziehungssysteme. Der Glaube an die Familie von allen Seiten (Werte!) gibt diesen Beziehungen Beständigkeit. Der Glaube an Liebe und die kulturell geprägten Vorstellungen davon, gibt Handlungsmuster und ebenfalls eine an eine Wahrscheinlichkeit des Scheiterns gekoppelte Beständigkeit. Doch gibt es auch hier verschiedene Konzepte und diese gilt es zu hinterfragen, um sie zu verstehen!

Aus alle dem folgt die Frage: In welchen Lebensbereichen wollen wir wirklich Beständigkeit?

Wollen wir wirklich eine beständige Beziehung? Alles tun, damit sie ja nie kippt? Klammern? Oder nehmen wir die Wahrscheinlichkeit, dass die Beziehung irgendwann auseinander geht in Kauf, um uns und dem Moment gerecht zu werden und innerlich frei zu bleiben? Wo liegt der Fokus? Im Jetzt oder auf dem Ziel der Beständigkeit? Das eine schließt das andere auch hier wieder nicht aus, aber wie bei so vielen Phänomenen der letzten Zeit, ist auch das wieder ein System, das man ausbalancieren, bzw. harmonisieren sollte (ich mag das Wort „sollte“ an dieser Stelle nicht – es repräsentiert lediglich mein eigenes derzeitiges Verständnis von der bestmöglichen Variante für mich persönlich – keinesfalls einen Zwang). Denn schlussendlich mündet das ganze Thema wieder in der Frage: Was will ich? In diesem Fall bezüglich Beziehungen. Und dann stellt sich mir die Frage, wie sich Wille bildet. Liegt er wie Jobst und meine Tante sagen würde in den Gliedmaßen und was bedeutet diese Metapher (wenn es denn eine ist). Kreire ich ihn selber, muss ich mich also entscheiden? Oder (und die Variante hört sich doch am schönsten an) vertrau ich darauf, dass ich zur richtigen Zeit, das richtige tue, weil ich quasi „meinem Herzen folge“? Schwammige Worte, nicht konkret systematisiert (überhaupt systematisierbar?), jedenfalls ein ganz anderes Thema, das bislang aber doch „beständig“ mich begleitet, genau wie das Thema „Beständigkeit“ (höhö). Wird bestimmt auch irgendwann in einem Sprung, und damit in einem Beitrag hier enden :). Damit schließe ich aber für heute, Bestand hat meine aktuelle Gedankenwelt eh nicht, auch sie ist im Wandel, aber hiermit geht die Beständigkeit immerhin zu Level 2 🙂