Loslassen – ein Federsprung

Lernprozesse erfolgen nicht immer linear! Sie sind eher vergleichbar mit einer Feder! Keine Vogelfeder. Obwohl das natürlich auch ein schönes Symbol wäre. Aber nein. In diesem Fall meine ich eine Sprungfeder. Wie man sie aus dem Bereich der Technik kennt.

Auf die Feder wird über einen längeren Zeitraum Druck ausgeübt und parallel wird dieser Druck gesteigert. Die Zwischenräume zwischen den Federwindungen verkleinern sich, bis sie schließlich minimal sind und einen Stillstand erreichen, da der Druck nun maximal ist. Ruckartig wird nun der Druck „losgelassen“ (dieser Begriff wird später noch wichtig!) und die Feder springt! Dabei vergrößern sich die Zwischenräume zwischen den Federwindungen wieder und übertreffen sogar ihre Ausgangsdistanz. Den Rückgang in die Ursprungsform missachten wir bitte hierbei erstmal, der ist meinem Vergleich nämlich momentan nicht sonderlich dienlich!

Warum erzähl ich aber das Ganze? Ich hatte heute einen solchen Sprungmoment! Seit Wochen kämpfe ich ja mit Themen wie der inneren Freheit, in sich ruhen, Selbstfokus und natürlich meiner Rolle N. Mein Dozent Jobst hat auch immer ein Gespür dafür, was bei uns Schülern dran ist und in den letzten Wochen webte er oft extra auf mich geschusterte Übungen ins Training ein, ließ mich vor der ganzen Schülerschaft in mein Lernfeld treten und richtete viele Impulssätze (Neologismus) auf mich aus. Er durcharbeitete mit mir Themen wie Rhytmus, Atmung, Körper entspannen, Wut durch Kampf erzeugen, Gesten stehenlassen, Sweatpoints und Dynamikten spüren, sich nicht zu verigeln und den Zweifel ausmerzen, stattdessen behaupten. Alles Themen, die ich euch eigentlich unbedingt auch näher bringen wollen würde, weil sie für mich so wertvoll geworden sind, aber das muss man wohl auch alles praktisch durchmachen!

Und heute kam dann ein Befreiungsthema, welches die Grundlage für all diese Problematiken bildet.

Das wurde aber auch im Privatleben mitvorbereitet und weil das so schöne Anekdoten sind, werde ich zumindest die, die mir nicht zu privat sind, auch teilen!

Steigen wir nur mit einem Nebensatz (Metapher) in den Bereich des Selbstfokus ein: Verliebtheit raub Selbstfokus, bzw. besser ausgedrückt Selbstverankerung. Zu diesem Thema ist aber schon seit Wochen ein anderer Artikel in Planung, durch die innere Nacktheit dabei, aber noch nicht sonderlich weit im Prozess! Viel mehr will ich da also momentan gar nicht drauf eingehen, nur noch sagen, dass Distanz, Ruhe und Zeit einen wieder erden können! Aufgrund jener Distanz und weil alle anderen Freunde entweder kaputt von der 8 Stündigen Probe mit Jobst oder andersweitig beschäftiigt waren, bin ich dann alleine zum Public Viewing. Deutschland gegen Ungarn.

Ich habe mir ein Auto gemietet, bin nach Kreuzberg und dort in mein Lieblingviertel gefahren – in welchem ich im Übrigen auch in einem schönen Café den Artikel „innere Freiheit“ geschrieben habe – und habe nach einer Bar gesucht. Ziel: Mit Menschen connecten in der emotionalen Aufgeladenheit des Fußballfiebers! Die schönen Bars waren leider alle erstens nur halb und zweitens nur mit alten Säcken gefüllt! Die Beleidigung ist in diesem Fall von meiner Selbst gestattet, wenn auch nicht ernst gemeint, da Alter für mich keineswegs ein Ausschlusskriterium ist! Diese Menschen strahlten aber altersbedingte Begleiterscheinungen aus, die meinem jugendlichen Tatendrang zumindest in dieser Situation nicht wirklich gerecht wurden, weswegen ich eine ganze halbe Stunde um die Blöcke lief, um den perfekten Ort zu finden. Da hätte ich mir das Auto zuvor fast sparen können, denn solange hätte ich von zuhause auch nach Kreuzberg gebraucht, aber das sind alles bloß Ausartungen meines schwäbischen Habitus!!!

Ich fragte auf dem Weg zwei schwarze Mädchen (ihre Hautfarbe als beschreibendes Merkmal zu nennen, ist durchaus überdenkenswert! Hier aber einmal bewusst gesetzt, da auch meine N mit solchen Themen kämpft!) nach einem passenden Ort. Sie schickten mich weiter in eine Seitenstraße rein. Dort lief ich an etlichen Restaurants vorbei. Ich schaute mir das Essen und die Leute an, aber hier in Berlin muss man mit Blicken schon manchmal aufpassen. Denn sobald du dich deiner Außenwelt wirklich öffnest, Interesse zeigst und Austausch bereit wirkst, reagiert die Stadt auf dich. So rief mir sofort ein Typ hinterher, ob ich denn Hunger hätte und lud mich indirekt zum mitessen mit seinen drei Kumpels ein. Ein anderer, auf der Gegenspur vorbeilaufender Passant komplimentierte meine Augen (dazu kann man anmerken, dass ich mich seit vier Tagen das erste mal wieder geschminkt hatte, und mein „geschminktes Ich“ denke ich doch anders auf Menschen wirkt, als mein „ungeschminktes Ich“, diese These gilt es jedoch noch zu verifizieren) und als ich grinsend Danke sagte, ohne anzuhalten, rief er mir auch noch ein Kompliment zu meine Lachen hinterher! Derlei kleine Geschichten gibt es an „geöffneten“ Tagen oh mass – um aber auch nur irgendwie einen roten Faden zu behalten, steigen wir wieder bei dem Fußballspiel ein:

Ich lief also einmal im Kreis, nur um mich dann doch für einen Späti an meinem Ausgangspunkt zu entscheiden. Manchmal ist das Gute vom Anfang, schon gut genug, aber Lernwege und Entscheidungsprozesse sind wichtig! Ein normal großer Fernseher war am rechten Ende aufgestellt und nach links saßen dann 15 Meter lang Menschen dicht auf dicht! Happy – Corona – we – don’t – longer – be – afraid – Stimmung! Das Spiel lief schon eine Viertel Stunde – ich hatte aufgrund meines Entscheidungskampes das erste Tor verpasst – und dementsprechend war der Späti auch schon rappel voll – mit halbwegs jungen Leuten :). Aufgrund meiner Augen (diesmal nicht deren Unwiderstehlichkeit sondern deren Sehschwäche xD) stellte ich mich dann einfach frech an den Sicherungskasten fast direkt vor dem Fernseher und verfolgte von dort das gesamte Spiel im Stehen! Ich connectete nonverbal mit dem Besitzer und in der Pause bot er mir an, mir einen Sitzplatz zu verschaffen. Ich lehnte aber dankend ab.

Das Spiel war spannend und ich checkte parallel die Leute aus und auf natürliche Weise entstehen so Verbindungen. Spannendes Feld. Svitlana hätte nun den Ansatz: „Who is the hottest person in the room?“. Mit diesem Attraktivitätsanalyseansatz hat sie sicher auch Recht, mir liegt es nur fern, das Ganze immer so platt auszudrücken. Denn dabei geht es mir keineswegs nur um die sexuelle, sondern primär um die zwischenmenschliche Ebene. Man entwickelt Haltungen gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern. Attraktivität kann hierbei als Messinstrument für Interesse ausgelegt werden, auch auf rein platonische Ebene, nur ist das Wort attraktiv in vielen Köpfen stark an sexuelles Interesse geknüpft.

Das Spiel näherte sich dem Ende. Für eine Minute, war die Freude groß, da Deutschland den benötigten Ausgleich geschossen hatte, um nicht aus dem Turnier zu fallen. Doch im direkten Konter fiel dann das 2:1 für Ungarn. Ich habe durchaus die Fähigkeit in einen starken Mitfiebermodus zu schalten – was durchaus eine gute Ausgangslage ist, um so ein Fußballspiel wirklich genießen zu können – und dementsprechend entsetzt war ich über diesen Schicksalsschlag für die Deutschen Nationalmannschaft. Ich brachte meine amüsiert-entsetzte Erschrockenheit zum Ausdruck, indem ich mich Hände raufend ein paar Schritte vom Geschehen entfernte und kassierte dafür amüsierte Bemerkungen von den zwei Typen neben mir, welche, bisher nicht sonderlich interessiert an dem Spiel, über Business geredet hatten. Mit dem in meinen Augen attraktiveren von den Beiden hatte ich zuvor schon einige Blickwechsel ausgetauscht, wobei ich bewusst nicht mit ihm geflirtet habe, sondern mich in das Spiel gefuchst hatte – eben aus dem Aspekt geerdet zu bleiben, statt Gefahr zu laufen aus mir heraus zu fallen. Sich nicht zu fixieren, sondern „loszulassen“ und locker mit Impulsen zu arbeiten!

(Ich merke gerade ich könnte aus diesem Abend ein ganzes Romankapitel schreiben und ich verliere mich in Details. Aber es macht so Spaß darauf einzugehen, sonst wäre die Geschichte auch nicht rund und ich habe schon vieles gekürzt!)

Also lange Rede kurzer Sinn, wir kamen ins Gespräch, er, sein Freund und ich. Auf Englisch natürlich, denn er ist aus Südafrika und sein Freund aus Kanada. Dadurch wurde zwar meine Aufmerksamkeit von dem Spiel umgelenkt, doch ich wettete mit meinem Südafrikaner, ob Deutschland noch ein Tor schießen würde und brachte die zwei desinteressierten Zwangsfußballzuschauer dazu, ebenfalls eine emotionale Reaktion zu dem Ausgleichstor 2:2 zu zeigen. Die beiden waren intelligent, erfolgreich (Olympia Athleth und Arbeiter in der Tech Branche), humorvoll, positiv, locker und keineswegs aufdringlich, weswegen ich sogar sehr gerne Nummern austauschte (im Gegensatz zu meinem Arzt, meinem Immobilien Menschen, meinem BWLer, aber das sind andere Geschichten!). Nachdem die zwei gegangen waren, blieb ich noch kurz und machte mich dann – diesmal doch zu Fuß – auf den Heimweg.

Hier und da noch eine kurze zwischenmenschliche Aktion mit Fremden (das ist Berlin meine Freunde!) und schon war ich an meinem privaten REWE angelangt. Hier tummeln sich nachts immer die Obdachlosen – nichts Neues – aber heute war ein Neuer da (Manuel Neuer, bist du’s?). Aufgeweckter und positiver als alle anderen. Morgens grüße ich immer einen super höflichen, sehr zurückhaltenden Obdachlosen, wir haben inzwischen voll das gegenseitige Respektband geknüpft, aber der große Rest lebt in ihrer eigenen Drogen Blase und ihrem Milieu – auf sich selbst zurückgezogen (wobei das natürlich auch zu pauschalisierend ist – Obdachlose zu analysieren ist eigentlich ein hochinteressantes Unterfangen, weil sie alle nicht geschleckt, sondern vom Leben gezeichnet sind!).

Er jedenfalls und sein Anhängsel (ein anderer Obdachloser) fragten nach Kleingeld, ich bot ihnen stattdessen an, ihnen was zu essen zu kaufen, wie ich es inzwischen manchmal mache und nahm dann die Bestellung auf: Ein Sandwich, Salami-Sticks und ein RedBull. Gesagt, getan, ich hatte sogar zwei RedBull gekauft, mit verschiedenen Geschmäckern unter der subtilen Prämisse dadurch mit den zwei ins Gespräch zu kommen. Ein vor mir selbst unausgesprochener Wille? Tatsächlich wurde dies der Aufhänger für ein Gespräch und letztendlich führte es dazu, dass ich mich kurzerhand zu den zwei auf den Boden hockte (unter kritischen Blicken anderer Partyjugendlicher) und eine Stunde lang mit ihnen quatschte. Das Anhängsel (nur halb böse gemeint, dient zur Unterscheidung und ist aber auch Ausdruck meines Sympathiegefälles – „Ehrlichkeit vor Heuchelei“ promotet auch unser Theaterstück!) versuchte selbstmitleidig sein Schicksal zu teilen und sich durch recht intelligente Fragen im Vergleich zu seinem sonstigen Auftreten, meine Aufmerksamkeit zu erobern.

Der andere jedoch faszinierte mich. 56 Jahre alt, tattowiert und eine rundum positive Ausstrahlung. Alles nahm er mit Humor und einem sympathischen Lachen (originiert (Neologismus???) in Persönlichkeit statt in Drogen in meinen Augen!) und obwohl er zuvor seinen Anhängsel warnte, zu viel zu erzählen, begann er nach und nach offenherzig Geschichten auszupacken. Er hatte einst eine Frau und Kinder. Und drei Häuser, die er aber an seine Kinder verschenkt hatte. Er hat anscheinend in seiner Jugend einen Puff in Stuttgart gegründet gehabt, war viel im Knast, hat 37 Einträge bei der Polizei, hat 12 Jahre lang gekicktboxt und ist seit 20 Jahren auf der Straße, erst in Dresden, jetzt hier. Er erzählte mir allerhand Anekdoten, die mir Einblicke in das Straßenleben verschafften. Von Leichen, über harte Winter, übers Aufgeben, übers Angeln, übers Betteln, über die Rivalitäten und Verbundenheiten. Sein kleines Geschäft neben dem Betteln und dem Flaschensammeln, war die Produktion von Schmuck. Er zeigte mir seine Utensilien und schenkte mir ein Armband.

Als er herausfand, dass ich auf einer Schauspielschule bin, warf er kurzerhand sein Feuerzeug weg und brüllte: „Hey, sie hat mir mein Feuerzeug geklaut!“. Die 3 Security Männer schauten auf, aber ich stieg in sein Spiel ein und ging ihn auch an. Nach diesem kurzen Wortgefetze schenkte er mir schließlich das Feuerzeug, mit den Worten, das hätte ich mir nun verdient! Um seine eigenen Schauspielerischen Qualitäten (die im Übrigen sehr gut sind – ausgebildet im Knast, weil man da ja nicht viel mehr als sich selber hat, meinte er, und jaaaa Papa, das macht seine Geschichten nicht unbedingt vertrauenswürdiger!) unter Beweis zu stellen, zitierte er kurzerhand ein uns beobachtendes Mädchen zu ihm, forderte sie auf ihm zu helfen, drückte ihr ein Kabel in die Hand und wies sie an, es im Boden einzustecken. So skurriel! Auf dem Pflasterboden vor dem REWE werden ja nie im Leben Steckdosen sein. Aber durch seine Selbstverständlichkeit zweifelte das Mädchen keine Sekunde, kam her und bückte sich! Wir bekamen uns nicht mehr vor Lachen, natürlich mit dem nötigen Respekt, um das Mädchen nicht zu verletzen, aber die war selbst ziemlich taff und lachte mit, bis schließlich ihr Freund kam und sie einsammelte.

Später – es war schon nach Mitternacht – kam noch ein Typ vom RAW Gelände und wollte Drogen abkaufen. Nur das Anhängsel wollte ihm was bei Anderen beschaffen gehen, mein Obdachloser hingegen, der im übrigen „nur“ Speed nimmt, hielt das für dumm, er selbst würde für niemanden Drogen besorgen gehen, außer für sich selbst! Wir liefen dann los, der RAW-Typ änderte aber kurzerhand seine Meinung und wollte plötzlich mich von den Obdachlosen weg und mit zu seiner Party nehmen, aber ich lief dann doch einen anderen Weg zurück zu den Obdachlosen. Die wollten mich noch zum zweiten Baum mitnehmen (Obdachlosenvokabular um Orte zu beschreiben – am ersten Baum hängen immer die Türken rum, am zweiten die Deutschen!), aber ich verabschiedete mich und ging heim.

Damit war mein Abend aber noch lange nicht zu Ende. Ein weiterer Berliner meldete sich per Insta-Direkt-Nachricht bei mir und es entstand noch ein skurriles Gespräch bis tief in die Nacht!

Diese Anziehungsära – die anscheinend ja auch durch das Telefon zu funktionieren scheint (halb ernst gemeint xD) – zog sich auch durch den nächsten Tag. Ich hatte ziemlich Kopfweh bekommen durch den Vormittagsunterricht und setzte mich alleine in ein Restaurant, um ein wenig auszuspannen. Ich saß keine Minute, da sprach mich eine Frau an, ob ich für sie einen Brief schreiben könne. Sie stellte dies ziemlich geschickt an, wir Werber würden in ihr definitiv großes Werberpotenzial sehen, aber weil sie sehr nett wirkte und vielleicht auch weil ich doch immer noch keine konsequente Nein-Sagerin geworden bin, was ich im Übrigen eigentlich für richtig erachte, willigte ich ein. Ich bestellte also mein Essen (Champinionsspätzle und dazu eine weiße Schokolade mit Espresso, sehr geil!) und ließ mir meine neu erworbene Aufgabe erklären. Ein Wohnungsantrag für eine zwei Zimmer Wohnung in Kreuzberg! Während ich also eine vorgefertigte Version fein säuberlich abschrieb, fing mein Gegenüber an mir ihre halbe Lebensgeschichte zu erzählen. 57 Jahre alt, Rentnerin, früher im sozialen Bereich tätig und nun in einem winzigen Hostelzimmer lebend. Sie blieb auch bei mir, als ich mein Essen aß, rauchte eine Zigarette und erzählte. Doch durch meine Kopfschmerzen und die Anstrengungen am Morgen waren meine sozialen Fähigkeiten auf ein Minimum geschrumpft, aber zuhören war noch drin. Sie verabschiedete sich, bezahlte ihren Espresso – aber nicht ihr Glas Wasser, das stand am Ende auf meiner Rechnung, nunja, wahrscheinlich ein Missverständnis mit dem Kellner – und ging.

All diese Ereignisse betteten mein parallel erfolgenden Lernsprung ein. Denn die Dinge, die ich im Schauspiel lerne, sind Dinge, die auch mein Alltagsich verändern und „verbessern“, aber primär erstmal reflektieren! Diese Begegnungen gaben mir aber primär die nötige Kraft und Leichtigkeit im Umgang mit anderen Menschen, um den Prozess des Loslassens, wirklich zu verstehen und praktizieren zu können.

Kommen wir also zu dem so hoch angeprangerten Training:

Thema: Loslassen

Jeder Satz, der auf der Bühne gesprochen wird, ist ein Geschenk für das Publikum. Jedes Wort, das gesprochen wird, ist motiviert und muss gegriffen werden. Und diese Wörter und Sätze müssen abgegeben werden. LOSGELASSEN! Sie nicht zurückziehen oder für sich behalten. Sondern geben und mit ihnen verändern WOLLEN!

Das ist krass!

Wir haben uns durch verschiedene Übungen an das Thema rangepirscht. Mit dem Bild eines Schleiers, der sich nach jedem Sinnabschnitt oder Satz über die Zuschauer legt. Das Ganze erstmal durch das Heben und Senken der Arme unterstützt und damit die Atmung automatisch mitgenommen, nämlich beim Heben der Arme. Dann die Sätze auf dem Boden ablegen. Nach jedem Satz einen neuen Punkt auf dem Boden suchen und da sprechen, den Satz sterben lassen und frei ohne jegliche Verspannung weitergehen. Interessant war, dass ich anfangs noch innerlich eine Schere benötigt habe, weil die Sätze wie roher Teig an mit klebten. Ich realisierte, dass ich die Sätze sonst oft einfach wieder mitnahm und musste nun aktiv dafür kämpfen, die Sätze abzuschneiden. Gelang mir das, war auch meine Körperhaltung sofort eine andere. Blieb ich jedoch kleben, blieben manche Muskelgruppen wie erstarrt in einer verkrampften Position. Um das ganze nun auch noch auf Schnelligkeit hin zu trainieren, haben wir uns einen Regenschauer auf einem See vorgestellt. Die Tropfen sterben in den Weiten des Sees. Solche Bilder helfen dir deinen Text anders zu greifen. Auch die Übung, die Sätze zu sprechen und parallel die skurrilsten Bewegungen zu tätigen half mir an diesem Morgen. Denn auch dies verhindert Verspannung und lässt die Sätze frei in den Raum.

Der Antagonist zu jenem Szenario des Loslassens ist der Angstgestus! Verkrampfung im Körper, nicht mehr geerdet sein, Schultern hochziehen, Kopfstimme und Brustatmung.

Ich hatte durchaus solche Symptome beim Spielen. Ich wusste nie wieso oder was dagegen unternommen werden kann. Klar kannst du diese Probleme technisch versuchen zu beseitigen. Aber das Kernproblem liegt mental. Denn es geht dabei darum in eine intensive Begegnung zu treten. Den anderen berühren zu wollen. Keine Angst vor seinem Urteil oder seiner Reaktion zu haben. Einen Kanal zwischen euch zu öffnen. Nicht im Glaskäfig zu bleiben. Sich nicht zu verigeln. Das ist ein Schlüsselverständnis! Man hat diesen Kanal teilweise intuitiv. Aber um auf ihn jederzeit Zugriff zu haben, braucht es Verständnis für diesen Prozess und Übung!

Ich werde also daran üben, Sätze abzulegen und Sätze sterben zu lassen. Und die Wiedergeburt der Sätze findet dann in den Zuschauern statt, das ist allerdings nicht länger in meinem Aufgabenfeld. Ich muss anzünden. Und dann vertrauen. Nicht aus einer Idee raus spielen. Sondern das tun, was ich habe, das abgeben und nun vertrauen.

Ein Mitschüler sagte in der Nachfolgenden Reflexionsphase etwas höchst interessantes: Er meinte, dass er fürs Sätze ablegen ein Gegenüber braucht, sei es auch nur ein toter Gegenstand. Ansonsten würden die Sätze an einem kleben bleiben. Das hat für mich seither so viel Sinn ergeben! Etwas aus meiner Blase rausschaufeln erfordert einen neuen Ort, wo es hinkann! Ich testete das Prinzip auch mit meinen Alltagsproblemen, um einen freien Kopf zu bekommen. Sobald ich meine Probleme an Gegenstände übergab, wurde ich innerlich freier und hatte Platz für Fokus und Konzentration auf unsere Arbeit.

DER MENSCH IST NUR DA FREI, WO ER SPIELT!

Eine These, die mich seit längerem verfolgt. Aber wirklich SPIELEN, fühlt sich tatsächlich wie pure Freiheit an. Und durch dieses Erlernen der Spielfreiheit, wird mir offengelegt, wo im Altag ich unfrei bin und was die Gründe dafür sind! Ich erlerne also in gewisser Art und Weise Freiheit! Und dadurch auch ein aufrechtes Standing in der Welt. (Man richtet sich übrigens aus dem Beckenboden aus auf, um beweglich zu bleiben. Aufrichtung aus dem Brustkorb heraus versteift – auch etwas sehr wichtiges, was ich gelernt habe!)

All diese Dinge habe ich dann nachmittags auf meinen Monolog angewendet. Und ich habe mich endlich wieder wie eine Spielerin gefühlt. Den Rausch, den ich hier an der Schule schon öfter erleben durfte. Der Zugang zu Inspiration und einem anderen SEINS-Zustand. Und das haben auch meine Mitschüler bemerkt und mir nach dem Unterricht reflektiert!

Vielleicht kann man hier doch den Rückgang in die Ursprungsform der Feder mitandenken. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, wie wir wissen. Nur weil eine Sache intelektuell verstanden wurde und einmal geklappt hat, heißt es nicht das man jetzt jederzeit auf sie zugreifen kann. Definitiv nicht. Aber der Zugang ist gelegt und mit viel Übung kommt man seinem Ziel wohl immer näher!

Hab keine Angst und lasse los!