„Seit Jahren habe ich nichts mehr verloren! Aber auch nichts dazugewonnen.“

Seit nunmehr 8 Monaten studiere ich auf einer Kunstschule. Spezifikation auf Schauspiel. Nur ist diese Ausbildung viel mehr als das!

Im Leben kommst du an Wegkreuzungen. Du hast die Wahl. In meinem Fall stehe ich zwischen der Entscheidung ein gut funktionierendes Glied in der Gesellschaft zu werden, dass seinen Teil leistet, gut Geld erwirtschaftet und Anerkennung verdient. Ein sicheres Leben, bestehend aus Routinen, klar gesetzten Aufgaben und Zielen, Struktur und Ordnung. Oder ob ich mich eben für die Kunst entscheide. Freiheit. Adrenalin. Rausch. Leidenschaft. Schönheit. Die großen Lebensfragen bewege. Dinge riskiere. Nicht weiß, was morgen wird. Menschen bewege und inspiriere. Mich selbst kennenlerne und ausbilde. Dinge erschaffe.

Ich kann den Teil mit der Funktionalität. Das Schulsystem hat mich dahingehend ausgebildet. Ich funktioniere unter Druck. Sogar gut. Kann Aufgaben lösen, Eigenmotivation aufbringen, habe eine Menge logisches Verständnis und Spaß daran Dinge von meiner TO-DO-Liste streichen zu können. Mein Hirn schaltet dann ein Belohnungssystem frei – schenkt mir einen gewissen Hormoncoctail und lässt mich Glück und Zufriedenheit spüren.

Was mir wenig beigebracht wurde: Die Schönheit der Welt zu sehen. Wirklich wahrzunehmen was in dem Moment ist. Intensive Begegnungen mit Menschen zu haben, die keine Regeln befolgen oder Masken erfordern. Humor. Meinen Körper zu spüren und mich in ihm wohlzufühlen. Mich auf meine individuelle Art und Weise auszudrücken. Tiefe – sowohl emotional als auf gedanklich – zu erlangen. Leidenschaft. Zu wissen, was man will. Identität. Gemeinschaft.

Ich sage nicht, dass die Schauspielschule für mich, der einzige Weg darstellt, wie ich all diese Dinge lernen kann. Ich sage auch nicht, dass sie ausschließlich oder überall im Kunstbereich aufzufinden sind. Ganz gewiss nicht.

Ich sage aber, ich bin mit dem Ziel auf diese Schule gekommen, all diese Dinge zu lernen. Ich spürte die Leere, das Nichtvorhandensein dieses Lebensbereiches. Und ich habe hier einen Raum erhalten, der mir erlaubte, anzufangen, diese Dinge zu erlernen. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ich durfte wachsen und das in großen Schritten! Das durfte ich auch in München und in Köln mit meiner Firma. Und das werde ich hoffentlich auch weiterhin, egal wofür ich mich entscheide.

Ich denke meine Zeit hier muss noch nicht fertig sein. Hier steckt noch wahnsinnig viel Wachstumspotenzial für mich, dass entfaltet werden kann. Wenn ich aber benennen muss, warum ich das denke bekomme ich Angst. Es ist nicht unbedingt einfach und logisch aufzufangen. Wohin mich dieser Weg führen würde? Keine Ahnung! Ich habe Angst vor der Ungewisseheit. Gleichzeitig liebe ich sie aber. Denn sie schenkt Freiheit.

Ob ich zu freiheitsliebend bin? Nein. Ein „Zu“ gibts nicht. Ob ich auf die Schnauze fliegen kann? Ja. Ob ich dann aber gelernt haben werde, wieder aufzustehen und meine Krone zu richten? Definitiv ja. Denn ich lerne Dinge, die mir keiner mehr nehmen kann!

Hier geht es nicht primär um Schauspiel. Schon gar nicht um das Ziel berühmt zu werden oder viel Geld zu verdienen. Nein. Hier geht es um mich. Und das ist nicht egoistisch. Nur wer im Überfluss hat, kann weitergeben. Liebe, Inspiration, Energie, Perspektiven, Freude, Gelassenheit, Spaß und Humor.

Daher: Ich will nicht in die Situation kommen müssen, so etwas zu sagen wie der Typ aus meiner Serie, den ich ganz am Anfang zitiert habe. Ich will momentan keinem System dienen, keinen Berufsweg einschlagen oder in ungewollte Verpflichtungen rutschen. Mag sein, dass das aus kapitalischer Weltanschauung, die in unserer Leistungsgesellschaft weit verbreitet ist, eine verwerfliche Ansicht ist. Ich falle dadurch ja erstmal ganz offensichtlich aus dem System.

Kunst ist eine Lebenseinstellung. Ein SEIN. Die Produkte wie Gemälde, Literatur, Theater, Musik sind nur die überschwappenden Ausscheidungen. Etwas, was du geworden bist und was jetzt nur seine Ausdrucksform findet. Natürlich gehört auch Technik dazu, die strukturell und systematisch erlernt werden kann. Der Zauber aber steckt viel tiefer!

Kleiner Exkurs zu einem Gedanken, der in mir wächst:

Politik ist da ähnlich. Gesetze, Verordnungen, Beschlüsse – all das sind Produkte von Bewusstsein. Verändert sich der Souverän – verändern sich auch die Struktur eines Staates. Kunst will Bewusstseinsveränderung schaffen. Kunst und Politik reichen sich die Hand.

Wir bewegen in meinem Studio zusätzlich auch viele philosphische, psychologische und politische Themen. Ich lerne die Welt zu verstehen. Natürlich unter starkem Einfluss von den Meinungen meiner Leute hier. Menschen bilden Gemeinschaften und dadurch unweigerlich auch ihre Blasen. Woher kommen meine Gedanken? Was ist geklaut, was ist neu? Kann Neues entstehen? Oder einfach nur neu entdeckte Zusammenhänge? Ich beschäftigte mich heute ziemlich intensiv mit der Biographie von Ödön von Horvath, einem bekannten Autor von Anfang des 20. Jahrhunderts. Dieser hing oft mit den merkwürdigsten Leuten ab, die nicht Teil seiner intelektuellen, studierten Schriftstellerblase waren. Er schaute dadurch die Welt aus verschiedenen Perspektiven an. Und nahm Dinge wahr, die er in Texten verarbeitete. Ziemlich beeindruckend. Meine Leute im Studio sind ein buntgemischter Haufen. Einige haben zuvor schon Berufe erlernt gehabt und gearbeitet, wir kommen aus ganz Deutschland – sogar einige Ausländer – und sind mit verschiedensten Religionen aufgewachsen. Und trotzdem gibt es Dinge, die uns alle verbinden. Wir sind eine Familie geworden – eine Einheit – trotz kontroverser Weltanschauungen und unterschiedlichster Lebenssituationen. Im Dialog gleichen wir uns aneinander an. Bewegen Themen. Harmonisieren uns aus. Finden unsere Position in der Gruppe – bis es läuft. Wir lernen voneinander. Wir fangen uns auf, unterstützen uns gegenseitig. Wir bilden eine Gesellschaft in der Gesellschaft. Und ich liebe diese Menschen inzwischen. Sie zu verlassen wäre ein Verlust.

Vieles spricht für das Bleiben. Neue Wege kann man jederzeit einschlagen. Aber die Angst: Das Bessere ist der Feind des Gutem.

Aber eine Sache habe ich auch gelernt: Eine Beziehung mit Geschichte und Tiefe ist mehr wert als eine neue Bekanntschaft. Der Wert wird durch die ganze „Beziehungsarbeit“ gesteigert. Ich weiß, ich bin sehr wohl auch ein Erfahrungssammler. Wie Horwath an neuen Menschen, neuen Geschichten, neuen Erfahrungen durchaus interessiert. Doch ich habe gelernt den Wert davon zu schätzen, was man hat! Darein zu investieren. Anstatt ausschließlich auf was Anderes zu hoffen. Wie bei so vielen Dingen ist auch der Weg des Wachstums ein Ballanceakt. Man kann von beiden Seiten vom Pferd fallen!