Als ich einen meiner Mitschüler aus dem nächsthöheren Jahrgang fragte, was er die letzten Monate gelernt hätte, war seine Antwort: „Schwere der Seele“ – „nicht so leicht aus sich rausfallen“. Er sagt ab und zu so schlaue Dinge, die einen echt inspirieren können (so auch das Synonym für verliebt sein – ein „mehr sehen“ in jemandem anderen). Jedenfalls ist dies eins der großen Themen, die mich in letzter Zeit beschäftigen und welches ich unter dem Titel Selbstrespekt laufen lasse.
Skurriler weise kamen wir aus einer ziemlich schicksalshaften Situation zu diesem Zitat. Wir waren spontan zusammen eine Kommode in Berlin-Lichtenberg abholen. Seine neue Wohnung befand sich aber in Berlin-Mitte – unser ursprünglicher Plan belief sich darauf die Kommode durch die Stadt zu schleppen – Unterstützung nur durch 2 verschiedene S-Bahnen annehmend. Wir waren aber keine 2 Minuten gelaufen, mein Rücken tat mir jetzt schon weh, da brüllte es hinter mir: „Hey Mädels, könnt ihr einen Transporter brauchen?“. Mal abgesehen der Tatsache, dass die zwei uns offensichtlich für zwei Mädels hielten, stimmten wir kurzerhand zu, hüpften hinten in den Transporter und ließen uns eine halbe Stunde lang kostenlos durch die Stadt kutschieren. How funny is that, please? Eigentlich wollte ich die Geschichte nur wegen ihrer Skurrilität reinbringen, um jetzt aber einen geschickten Übergang zu dem eigentlichen Thema zu schlagen, sehen wir uns die Gesprächssituation im Wagen genauer an: Es begann ein Versuch trotz räumlicher Trennung durch ein Gitter ein Small Talk Kennenlerngespräch anzufangen. Wie in jeder Gruppenkonstellation werden dabei immer automatisch sofort die jeweiligen Status ausgecheckt (Ja, ich habe in Improvisation bei Dido gut aufgepasst :)). Das Konzept beruht auf einer gewissen Gruppenhirachie. Wer ist im Hochstatus, wer im Tiefstatus. Der Hochstatus diktiert eher die Regeln, der Tiefstatus bedient. Der Fahrer (ein 29 Jähriger Physikstudent) übernahm die Gesprächsleitung und damit Nummer 1. Sein Hauptgesprächspartner wurde mein Mitstudent der somit Nummer 2 abbildete. Wir zwei Anderen fügten nur gelegentlich etwas an und teilten uns somit quasi Nummer 3. Doch irgendwie fühlte ich mich nicht wirklich frei im meiner Position. Ich war angespannt und wollte mich korrekt verhalten. Vor allem gegenüber meinem Mitschüler, den ich eigentlich kaum kannte. Wie gesagt, dass ich ihm beim Umzug geholfen hatte entstand durchaus ziemlich random. Ich bewundere ihn aber in einer gewissen Form und daher war es mir wichtig, dass er auch was in mir sieht. Ich versuchte demnach aus meiner Position der 3 auszubrechen und eine höhere zu erlangen, indem ich much vermehrt beteiligte, doch es wollte mir nicht so recht gelingen. Vermutlich weil ich meine Position abhängig von deren Urteil über mich machte, was meine Unterordnung im Gegensatz zu meiner ursprünglichen Intension erst recht zementierte. Dies ließ mich nicht frei agieren, weil meine Impulse zu Handeln immer erst durch die Kontrollschlaufen in meinem Kopf liefen, die meine Aktionen auf Effektivität bezüglich der gewünschten Anerkennung hin überprüften, verdrehten und mich dadurch verklemmten.
Dieses „gesehen werden wollen“ ist so eine Sache: Man zieht den eigenen Selbstwert aus dem Urteil einer anderen Person. Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, würde hierbei von einer Aufgabendiffusion sprechen. Meine Aufgabe ist es nämlich nicht, auf Reaktionen des Anderen zu spekulieren. Hier kann ich nur jedem einmal das Buch „Du musst nich von allen gemocht werden – Vom Mut sich nicht zu verbiegen.“ ans Herz legen. Und dennoch ist dieses Berechnen der Reaktionen eine Form der Machtausübung gegenüber anderen, die, wenn man sie gut beherrscht, sehr manipulativ sein kann. Nicht umsonst spricht man von „Der Waffe der Frau“. Ich wage aber die These, dass eine solche Begehren-Hascherei keine gesunde Grundlage für eine Beziehung bildet. Es bildet von vornherein ein Machtgefälle und zudem geht die eigene Authentizität verloren. Denn man selbst agiert als eine Art Wachsmasse, dass sich den Bedürfnissen des anderen anschmiegt, anstatt ebenfalls seine eigene Form zu behalten. Hierzu gibt es einen interessanten Vortrag über Simone de Beauvoir auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=421Dq9WG7Ns. Sie analysiert das Verhältnis zwischen Mann und Frau, das sie wie folgt beschreibt: „man defines woman not as herself but as relative to him… He is the Subject, the Absolute—she is the Other“. Dadurch zeigt sie die Problematik auf, die in Prozessen wie Emanzipation und Feminimus behoben werden soll.
Emanzipation wird dadurch für mich ein essentieller Bestandtteil von Selbstrespekt. Seinen eigenen Wert aus sich selbst ziehen – statt aus der Beziehung zu anderen Menschen. Was einen behindert sich zu emanzipieren, ist die Angst dadurch einsam zu sein und Beziehungen zu verlieren. Paradoxerweise führt es aber genau zum Gegenteil. Menschen schließen lieber Beziehungen mit emanzipierten Wesen, denn Emanzipation ist eine Form der Freiheit und Freiheit wirkt anziehend. Zudem schafft Emanzipation eine tiefe Zufriedenheit gegenüber sich selber. Man ruht in sich, statt immer aus sich rauszufallen, im Glauben, anders sein zu müssen, um jemandem zu entsprechen. Hier schließt sich der Gedankenkreislauf zu dem Zitat meines Mitschülers. „Die Schwere der Seele“. Mag sein, dass für ihn diese Worte nochmals eine andere Bedeutung aufweisen, für mich greift es jedoch genau dieses Thema auf. Es setzt allerdings voraus, sein eigenes ICH zu kennen und einen eigenen Willen und eigene Ziele gebildet zu haben.
Mein aktuelles Theaterstück dreht sich genau um diese Thematik. Einer der Gründe, warum ich mich so in das Stück verliebt habe. Bille, meine Figur, kämpft genau mit dieser Selbstfindungsthematik und stößt schlussendlich auf den Weg der Emanzipation.
Bei der Erarbeitung einer Rolle starten wir, nachem wir das Stück aufmerksam analysiert haben, mit der Frage nach dem Gesamtziel einer Figur (nach der Chubbuck-Tecknik). Das Gesamtziel einer Figur beschreibt quasi den Sinn oder das oberste Ziel des Daseins der Figur. Es ist das psychologische Grundbedürfnis und insofern der „Motor des Verhaltens“. Dabei wird in nach Steven Reiss in zwei Hauptrichtungen des Gesamtziels unterteilt: Liebe und Macht (ergändes Element: Wachstum). Ich definierte das Gesamtziel meiner Figur mit folgendem Satz: Ich brauche Bestätigung (Tiel der Hauptrichtung Macht). Differenzierter ausgedrückt sucht Bille nach ihrem Platz in der Gesellschaft, nach ihrem Raum, ihrem Wert. Bestätigung ist ihr Mittel um sich selbst zu legitmieren. Nachdem sie in der Vergangenheit versucht hat ihren Raum mithilfe der Bestätigung durch die Anerkennung des Vaters, durch das sexuelle Begehren unabhängiger Genossen, durch gute Leistungen im Bereich Schule, Studium und Beruf zu manifestieren, tritt nun wieder Asti, ihr Bruder, in den Fokus. Sein Bestätigung, sein Respekt ihr gegenüber ist es, der ihr Halt und Wert geben soll. Asti ist für sie die Verkörperung von Selbstwert, Ehrlichkeit und Unabhängigkeit. Diese Ideale strebt sie auch an, doch sie begeht einen Fehler. Sie will sein wie Asti, macht sich aber gleichzeitig abhängig von seiner Bewertung und schafft es daher eben nicht Unabhängigkeit von der Bewertung durch andere zu etablieren (ähnlicher Konflikt, wie die oben aufgeführte Gesprächssituation in dem Transporter). Ihr Szenenziel (spezifischeres Teilziel in einer bestimmten Situation) war daher lange Zeit: Ich werde dich dazu bringen, dass du mich begehrst, damit ich meinen Selbstwert spüre. Dies mag einer der Beweggründe für sie gewesen sein, warum sie sich auf ein sexuelles Verhältnis mit ihm einließ. Asti lebt jedoch einen gegensätzlichen Lebensstil zu ihr. Während sie das Abitur machte, studierte und es ihr wichtig war einen gesellschaftlichen Status zu erlangen, brach er das Abitur ab und erlernte keinen Beruf. Er weigert sich an dem kapitalistischen System zu beteiligen und bezeichnet sich selber als Revolutionär. Die Eigenschaft die Bille am meisten an ihm bewundert, ist, dass er sich nicht anpasst. Während sie dieser von Simone de Beauvoirn angesprochenen Wachsfigur entspricht, bleibt er sich anscheinend selbst treu. Er belügt sich nicht selbst. Er steht zu seiner Meinung ohne darauf zu achten, wie diese bei anderen ankommt. Bille tritt in der Szene, die wir momentan einstudieren, aber immer mehr für ihre eigenen Entscheidungen ein. Ihr Szenenziel verwandelt sich in: Ich werde dich dazu bringen, dass du mich respektierst. Sie kämpft gegen das Machtgefälle zwischen den beiden Geschwistern an und versucht Astis Verständnis gegenüber ihrem Lebensstil zu erwecken. Sie beginnt sich zu emanzipieren. Schlussendlich krämpelt sie sogar ihren eigenen ganzen Lebensstil um, bricht das Studium ab und definiert sich neu.
Ich bin unglaublich dankbar für mein Schauspielstudium. Die Rollen, die ich spielen durfte in den letzten 3 Monaten, haben mir viel beigebracht! Ich lerne Verhaltensmuster, Persönlichkeiten und Beziehungskonstellationen zu analysieren und zu reflektieren. Gerade Bille weißt sehr viele Parallelen zu meinem Leben auf. Es steckt einfach so viel psychologischer Tiefgang in dieser Figur und auch ihr Verhältnis zu Asti ist äußerst interessant.
Selbstrespekt nach und/oder parallel zu dem Prozess der Selbstfindung.
Ich bin gespannt, was die letzte Woche mit dieser Rolle mich noch lehren wird!
Sarah
Mega schön geschrieben und super wichtiges Thema für jeden!!!
Dieses Bild mit der Wachsfigur trifft super zu
Man passt sich den Personen um sich herum an, der Gesamt-Stimmung, teilweise sogar dem eigenen Idealbild das man nach außen hin ausstrahlen möchte (ich will selbstbewusst sein, deshalb muss ich mich jetzt selbstbewusst verhalten).
Letztendlich ist es aber die größte und schwierigste Aufgabe zu verstehen wer man selber eigentlich ist.
Zu merken wie man ist und wie man redet wenn man ganz frei ist, ist nicht einfach, vor allem weil man eben gerade in diesen freien Momenten nicht darüber nachdenkt „wie verhalte ich mich grade eigentlich „.
Ich glaub fast man kann sagen das Leben ist ein ständiger Prozess des „Sich-Selbst-Kennenlernens“ und das ist auch gut so.
Man kann sich anderen Leuten anpassen und dadurch ein Gefühl von „ah gut die mögen mich wenn ich so und so bin“ bekommen.
Die meiste Zeit verbringt man am Ende aber mit sich selbst, sich selber hat man immerhin immer dabei egal wo man hingeht, warum sich also nicht einfach mal an „sich selber anpassen“?