Emotionslosigkeit

Themen, die mich zum Schreiben inspirieren haben in letzter Zeit häufig das Suffix „-losigkeit“. Ich sehe einen Zustand – in meinem persönlichen Leben oder in meinem sozialen Umfeld. Dieser Zustand eckt in irgend einer Form mit meinen derzeitigen Idealen an und ich fange an mir Gedanken über Alternativen zu machen.
Zurzeit laufen unsere finalen Proben unserer szenischen Arbeit am Theater auf Hochtouren. Ich spiele einen sehr einsamen, blinden Mann Mitte 30, welcher Tendenzen aufweist durch Absonderung von der Welt in den Wahnsinn zu rutschen. Bei der Erarbeitung einer solchen Figur ist vieles zu beachten. Allein schon wie ein Mensch sich bewegt, läuft, sitzt, Dinge berührt, ist maßgeblich individuell und lässt Rückschlüsse auf Charaktereigenschaften zu. Wo das Zentrum eines Menschen sitzt ist dabei ein erster Schritt zur Erfassung der Andersartigkeit des Charakters. Ich bemerkte, dass während mein Zentrum zwischen Brust und Kopf sitzt (so denke ich zumindest), das Zentrum des Blinden weiter unten ist. Zudem berühre ich Dinge viel zaghafter oder nehme mir oftmals nicht einmal das Recht heraus sie zu berühren, während mein Spielcharakter beherzter und selbstverständlicher zufgreifen soll. Den krassesten Unterschied, welcher mich auch endlich mal wieder zum Schreiben motivierte, war der Umgang und die Ausführung eines emotionalen Impulses. Ich realisierte während einer Reaktionskorrektur meiner Regisseurin, dass ich dazu neige emotional Impulse zu unterbinden, abzublocken oder nur sehr klein, bzw. versteckt auszuführen. Im Theater, wo gerade die emotionalen Impulse das Spannenste für den Zuschauer ausmachen, ist dies natürlich unvorteilhaft. Reize erfordern eine emotionale nachvollziehbare und anschaubare Reaktion für Außenstehende.
Bisher sind dies nur Analysen. Ich lerne gerade durch die Differenzen der zu spielenden Charaktere und das Bewusstmachen normalerweise unbewusster Reaktionsmuster sehr viel über mein eigenes Verhaltensprogramm, das in mir verankert ist.
Dass dieses Verhaltensprogramm veränderbar ist, daran glaube ich fest. Was es für so eine Veränderung braucht, ist schon schwerer zu erfassen.
Eine klare Idee von einem neuen Reaktionsideal wäre wohl ein guter Start. Wie emotional will ich sein? Wie viel Recht nehme ich mir in Dialog zu anderen Menschen zu treten? Erlaube ich anderen einen Blick auf meine sich stetig wandelnde Perspektive auf die Welt und offenbare dabei meine Unvollkommenheit?
Neulich hatte ich ein sehr inspirierenendes Gespräch bei einer guten Flasche Cidre. Mein Gegenüber erklärte mir, wie wichtig die eigenen Wahrnehmungen eigentlich sind und wie viele Menschen dazu tendieren, sie zu verleugnen oder zu missachten. Durch das ausformulieren der Wahrnehmungen legt man gleichzeitig auch einen Teil seiner Persönlichkeit offen. Das Gegenprinzip dazu ist, die Worte anderer zu benutzen und dadurch deren Perspektive anzunehmen. Es ist leicht die Perspektive eines selbstsicheren Menschen zu übernehmen (hier wäre es sicherlich spannend, die Überzeugungspsychologie genauer zu studieren – wie mir eine bekannte Psychologin ans Herz legte).
Ich denke wir sollten mehr Mut haben Dinge selber wahrzunehmen, zu interpretieren, zu urteilen und sie in Relation zu stellen. Dies klingt eventuell banal, aber wenn ich ehrlich zu mir bin, ist es erschreckend wie viel meines Verhaltens fremdgesteuert ist und wie sehr man doch sozusagen „mitschwimmt“ und das, obwohl ich mich definitiv nicht als Mainstream oder generellen Mitschwimmer bezeichnen würde!!!